Kategorie: Allgemein Allgemein


Autor: Verfasst am 21. 03. 2013
Sim City

Sim City:


Katastrophen für Millionen - Redaktions-Kolumne von Peter Bathge





PC Games-Redakteur Peter Bathge zieht in seiner Kolumne eine Bilanz nach zwei Wochen Sim City - und beobachtet mit Sorge den Verkaufserfolg der im Kern fehlerhaften Städtebausimulation.





Anfang März fand der vielleicht größte Etikettenschwindel seit dem Pferdefleischskandal in deutschen Supermärkten statt: Sim City erschien ohne den Namenszusatz "Online". Aus einer Soloserie für perfektionistische Hobby-Bürgermeister wurde, O-Ton Lucy Bradshaw (Geschäftsführerin von Entwickler Maxis), "ein MMO". Publisher Electronic Arts und Entwickler Maxis haben eine Serie, die seit jeher für gemächlichen Solospielspaß an langen Winterabenden stand, um einen aufgesetzten Mehrspielermodus erweitert. Warum? Weil das heute nun mal so sein muss, wie mir der leitende Produzent bei Maxis, Kip Katsarelis einen Monat vor der Veröffentlichung des Spiels im Interview nonchalant erläuterte: "PC-Spiele haben sich seit dem letzten Sim City weiterentwickelt. Heutzutage müssen sie online sein, sie müssen vernetzt sein und sie müssen eine soziale Komponente haben. Eine große Mehrheit der Spieler will und spielt solche Spiele. Wenn jemand in der Steinzeit leben und solche Spiele nicht kaufen will, ist das seine Entscheidung."


Als Sim City erschien, fühlten sich viele tausend Spieler tatsächlich so, als lebten sie in der Steinzeit: Sim City ließ sich nach dem Kauf partout nicht spielen, egal wie schnell die Internetanbindung und wie groß die Offenheit für das neue Online-Sozial-Zeitalter. Die desolate Release-Woche von Sim City samt überfüllter Online-Server und frustrierender Verbindungsabbrüche dürfte wohl in die PC-Spiele-Geschichte eingehen als bislang schlechtester Launch. Dagegen wirkte selbst der Error 37 aus seligen Diablo 3-Zeiten wie ein geringfügiges Ärgernis. Wie ernst die Lage und der Image-Schaden für den Hersteller ist, zeigt eine bislang einmalige Aktion seitens eines Publishers: EA kriecht bei den Käufern von Sim City zu Kreuze und entschuldigt sich mit einem kostenlosen Spiel, darunter Top-Neuheiten wie Battlefield 3 und Dead Space 3, aber ironischerweise auch der zehn Jahre alte Vorgänger Sim City 4. Ein irrer Service, sollte man meinen, doch angesichts dieser Wendung überwiegt die Trauer, dass es überhaupt soweit gekommen ist, die Freude über einen Gratis-Titel als Entschädigung.


Und warum der ganze Zirkus? Wegen eines Mehrspielermodus, der sich auf minimale Interaktion zwischen Nachbarstädten beschränkt? Nein, der Übeltäter ist ein anderer: Die permanente Internetverbindung, die nötig ist, um Sim City zu spielen. Ein optionaler Offline-Modus? Leider nicht möglich, so Maxis im Vorfeld der Veröffentlichung. Wegen der gewaltigen Datenmengen, die Sim City nur mithilfe der Server berechnen könne. Schließlich sei die Glassbox-Engine des Spiels ein Meilenstein in Sachen realistischer Simulation. Die beeindruckende Ankündigung seitens der Entwickler: Glassbox stellt über 100.000 individuelle Sims mit in Echtzeit simulierten Tagesabläufen dar! Die Wahrheit, das wissen wir mittlerweile, sieht anders aus. Der Realismusgrad der Glassbox-Engine fällt, gemessen an den Versprechungen im Vorfeld, lachhaft gering aus. Vom "realistischsten Sim City aller Zeiten" ist das, was Maxis da abgeliefert hat, weit entfernt. Stattdessen "glänzt" das Spiel mit absurdem Verhalten der Verkehrsteilnehmer und getürkten Einwohnerzahlen der Städte.





Das wäre jetzt an sich noch kein K.O.-Kriterium. Klar, ein Sim City lebt von der akkuraten Simulation seiner Städte. Wenn die KI hakt und das Spiel wegen nur vage über den Daumen simulierter Teilaspekte schlecht durchschaubar ist, dann mindert das natürlich den Spielspaß. Was jedoch viel schwerer wiegt: An Maxis Argumentation für die Notwendigkeit der permanenten Internetverbindung kamen in den letzten Tagen berechtigte Zweifel auf. Sie ist demnach keine technische Notwendigkeit, sondern eine künstliche Einschränkung, nichts anderes als ein Online-Kopierschutz, um Raubkopien und Gebrauchtverkäufe zu verhindern. Und der angeblich unmögliche Offline-Modus? Mit ein paar Modifikationen kein Problem! Maxis und EA waren also unehrlich. Die Spieler fühlen sich logischerweise verschaukelt. Der Sturm der Entrüstung, der in den letzten Wochen durch die Internetforen tobte, war Beweis genug dafür. Die Spieler sind sauer. Auf Maxis. Auf EA. Auf Kip Katasarelis und auf Lucy Bradshaw und vielleicht auch ein kleines bisschen auf sich selbst. Immerhin haben sie Geld für Sim City ausgegeben. Viel Geld, 50 Euro. Für ein Spiel, das die Erwartungen nicht erfüllt hat.


Fraglich bleibt indes, was dieses berechtigte Toben der Spieler über den elendigen Zustand von Sim City, die gebrochenen Versprechen, die glatten Lügen letztlich bewirken wird. Tritt jetzt der große Lerneffekt bei den Kunden, die ihren Kauf zukünftig stärker abwägen? Bei Herstellern, die ab sofort gewissenhafter ihre Spiele entwickeln und leere Phrasendrescherei vermeiden? Ich habe da so meine Zweifel. Denn kürzlich flatterten die neuesten Verkaufs-Charts in die Redaktion. Auf Platz 1? Sim City natürlich, mit über einer Million verkaufter Exemplare. Herzlichen Glückwunsch.


Das muss man sich mal vor Augen führen: Da gab es also all diese Aufregung, all die Kritik, die Hasstriaden in Internetforen, die Modder-Enthüllungsvideos auf Youtube, hektische Blog-Entschuldigungsschreiben der Entwickler, kurz gesagt ein riesiges Theater um Sim City. Und was passiert? Das Spiel verkauft sich blendend. Angesichts solch ermutigender Nachrichten frage ich mich ernsthaft, wohin die Reise der PC-Spiele in Zukunft geht. Können sich die großen Unternehmen alles erlauben, ohne jemals Lehren aus ihren Fehlern ziehen zu müssen? Und sind die Spieler so beratungsresistent, dass sie trotz aller Beschwerden dennoch kaufen, kaufen, kaufen und auch den wohl unvermeidlichen Sim City-Nachfolger ebenfalls fleißig vorbestellen werden?


Ich hoffe nicht. Ich wünsche mir, dass Sim City der Stein des Anstoßes ist, der eine Lawine ins Rollen bringt. Auf dass künftig die Sorgen und Beschwerden der Spieler nicht immer zum Sturm im Wasserglas verkommen, sondern Hersteller die Kritik ernst nehmen. Auf dass Maxis und Co. den Vertrauensbeweis zahlloser Vorbesteller, ihrer treuesten Fans, nicht mit Füßen treten, indem sie unehrlich sind. Auf dass schlechte Spiele nicht mit blendenden Verkaufszahlen belohnt werden. Und natürlich wünsche ich mir, dass Sim City irgendwann, nach dem 20. Patch, dann auch endlich genau das tolle Spiel wird, das Maxis und EA uns die ganze Zeit über angepriesen haben.




Quelle: http://www.pcgames.de/

Drucken